Der Leserbriefschreiber, der in Reaktion auf den ORF-Auftritt der Interessensgemeinschaft AHS-Unterstufe Deutschlandsberg die Frage stellt, wer eine AHS-Unterstufe braucht, scheint nicht besonders mit den Fakten um die Neue Mittelschule (NMS) vertraut zu sein, denn er verkennt die wahren Probleme oder verschweigt sie. Er will auch die Antwort auf seine quälende Frage nicht verstehen, dass es nicht darum geht, ob gute SchülerInnen aus Deutschlandsberg Schwierigkeiten beim Studium haben, sondern darum, dass aus Deutschlandsberg erst überhaupt viel weniger SchülerInnen ein Studium beginnen als aus Bezirken mit AHS-Langformen. Er verteidigt trotz Zahlen, Statistiken und Tatsachen beharrlich ein Schulsystem, das teuer und ineffizient ist und künstlich durch die Schulverwaltung geschützt wird. Der Leserbriefschreiber verkennt außerdem, dass es sich nicht um einen Einzelkampf handelt, denn 466 Unterschriften sind ein klares Signal, und jedes Jahr kommt eine neue Generation von Eltern dazu, die vor dem Dilemma steht, dass ein Gymnasium nach der Volksschule für ihre Kinder nur durch langes Pendeln oder Internat erreichbar ist. Jetzt aber anfangs einmal umgekehrt, wer keine AHS-Unterstufe braucht:
Erstens, ein Pensionist ohne schulpflichtige Kinder braucht bestimmt keine AHS-Unterstufe, außer er denkt an seine Enkelkinder.
Zweitens, ein Ideologe, der blind ist für die Bedürfnisse und Wünsche von Eltern, braucht auch keine AHS-Unterstufe.
Drittens, ein Landesschulinspektor, der einen Bedarf von 5 bis 6 Klassen für eine AHS-Unterstufe in Deutschlandsberg anerkennt aber genau aufgrund dieses Bedarfs in absurder Logik selbst die Einführung von nur 2 AHS-Klassen ablehnt, braucht auch keine AHS-Unterstufe.
Viertens, eine Landesschulratspräsidentin, die das Bildungsmonopol der Neuen Mittelschulen schützen will, braucht auch keine AHS-Unterstufe.
Fünftens, ein Bildungsministerium, das auf die Einführung der Gesamtschule für die Zehn-bis-Vierzehnjährigen in Österreich hinarbeitet, braucht am allerwenigsten eine AHS-Unterstufe.
Sechstens, ein Gesamtschulbefürworter, dem soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit egal sind, braucht auch keine AHS-Unterstufe, denn sozialer Aufstieg ist viel eher durch ein differenziertes Schulwesen erreichbar als durch eine Gesamtschule.
Siebtens, die Bürgermeister der 14 Landgemeinden in Deutschlandsberg, die eine unterschriebene Resolution gegen eine AHS-Unterstufe an die Landesschulratspräsidentin geschickt haben, weil ihnen die Erhaltung von Schulgebäuden wichtiger ist als die Bedürfnisse von SchülerInnen und Eltern, brauchen auch keine AHS-Unterstufe.
Nochmals kurz zusammengefasst, warum eine AHS-Langform, also eine AHS-Unterstufe in Kombination mit einer AHS-Oberstufe, in jedem Bezirk Österreichs gebraucht wird:
Erstens, Studierende aus benachteiligten Bezirken ohne AHS-Langform haben nicht die Möglichkeit erhalten, eine achtjährige gymnasiale Allgemeinbildung als Vorbereitung für ihr Studium zu durchlaufen.
Zweitens, eine AHS-Langform ermöglicht SchülerInnen einen breiten Einblick in Fachgebiete, um ihr Potential zu entdecken, da sie auch Nebenfächern mehr Gewicht gibt.
Drittens, eine AHS-Langform hat die Anleitung zu kritischem Denken, interdisziplinärer Vernetzung und sozialem Interagieren als Vorbereitung für Studium und Beruf in ihrem Konzept verinnerlicht.
Viertens, aufbauender und somit zielführender Fremdsprachenerwerb ist in der AHS-Langform bis zur Matura besser möglich.
Fünftens, das fundierte Erlernen einer Zweiten Lebenden Fremdsprache oder Latein ab der Unterstufe ist nur in der AHS-Langform möglich.
Sechstens, die Unterstufe der AHS-Langform bildet SchülerInnen am besten für weiterführende Schulen und Studium aus (Latein kann zusätzlich zu Zweiter Lebender Fremdsprache in Oberstufe gewählt werden).
Siebtens, in der AHS-Langform erfolgt kein verfrühter Zuschnitt, also keine Einengung, auf ein Berufsfeld.
Achtens, „Lernen lernen“ ist in der AHS-Langform am besten möglich, weil Förderung und Forderung von allen SchülerInnen im Regelunterricht passiert.
Neuntens, eine AHS-Langform wertet den ländlichen Raum und Randbezirke auf.
Zehntens, sie bietet damit eine Attraktivitätssteigerung für den Zuzug von Jungfamilien.
Elftens, eine AHS-Langform garantiert einen Fokus auf Fachinhalte durch die universitäre Ausbildung der AHS-LehrerInnen.
Zwölftens, die neue LehrerInnenausbildung, die seit dem Wintersemester 2016/17 begonnen hat und im Verbund von Pädagogischen Hochschulen und Universitäten durchgeführt wird, wird erst in etwa 40 Jahren zu einem vollflächigen Einsatz der AbsolventInnen in den NMS führen.
Dreizehntens, Österreich braucht mehr AHS-Plätze, denn durch diese neue LehrerInnenausbildung werden mehr AbsolventInnen an die AHS drängen, wo ihnen beruflich größere Möglichkeiten offen stehen.
Vierzehntens, die AHS-Langform arbeitet mit einem LehrerInnen-Team von der 1. bis zur 8. Klasse, was Vorteile beim Übergang von der Unterstufe zur Oberstufe ohne Anpassungsprobleme an ein neues Lernklima bietet.
Fünfzehntens, alle relevanten Zahlen, ob Leistungsfeststellungen, Übertrittsraten von NMS in Oberstufen, Abbruch der Oberstufe nach der neunten Schulstufe, Maturaerfolg, Studienerfolg, Kosten oder Nachfrage von Eltern, sprechen eindeutig, unwiderlegbar und konstant für die AHS-Langform (siehe Statistik Austria und Bildungsforschungsinstitut).
Sechzehntens, ein differenziertes Schulsystem braucht die Koexistenz von NMS und AHS-Langformen in allen politischen Bezirken Österreichs.
Wenn die neuen Mittelschulen so gut wären, wie sie der Landesschulinspektor und andere Bildungsmonopolisten immer darstellen, dann bräuchte man die Einführung einer AHS-Unterstufe in Deutschlandsberg ja nicht so zu fürchten. Warum sollte gerade in Deutschlandsberg unmöglich sein was in 103 von 118 politischen Bezirken Österreichs die Normalität ist, nämlich NMS und AHS am gleichen Standort?
FH-Prof. Mag. Mag. Dr. Dietmar Tatzl