Reform der Reform der Lehrerausbildung
Matthias Hofer
Ein kurzes Gesamtschul-Aufflackern bei den Grünen, den NEOS und der SPÖ in Vorarlberg, die die im Koma liegende Gesamtschul-Modellregion reanimieren wollten, sowie ein trotziger bis verzweifelter Kommentar des Gesamtschulapologeten Karl-Heinz Gruber im „Standard“ – das ist alles, was man in den letzten Monaten und Jahren von der Gesamtschulfraktion zu hören bekam. Die Proponenten spüren es wohl selbst: Es gibt in der Bevölkerung keine Mehrheit für die Gesamtschule, in Wahrheit kräht kein Hahn mehr nach ihr. Und trotzdem haben wir mit ihren negativen Auswirkungen auf unser Schulsystem zu kämpfen.
2007-2017: Gesamtschulfantasien wirken nach
Als die Sozialdemokratin Claudia Schmied im Jahr 2007 Unterrichtsministerin einer SPÖ-ÖVP-Bundesregierung wurde, konnte die frühere Bankerin zwar kaum berufliche Berührungspunkte mit dem Schulsystem vorweisen, ideologisch war sie jedoch eindeutig ausgerichtet. Rasch machte sie klar, dass der Zug nun in Richtung Gesamtschule fährt und alle Projekte sich diesem Ziel unterzuordnen haben. Ihre sozialdemokratischen Nachfolgerinnen Gabriele Heinisch-Hosek und Sonja Hammerschmid änderten an dieser Ausrichtung bis zum Ende der Koalition zwischen SPÖ und ÖVP im Jahr 2017 nichts. Der ÖVP gelang es in diesen zehn Jahren nicht, den Gesamtschulfantasien der SPÖ ein Ende zu setzen. Im Gegenteil, manche in der ÖVP fühlten sich sogar berufen, den Gesamtschulkurs der SPÖ mitzutragen, etwa die Landeshauptleute Markus Wallner, Günther Platter und ansatzweise Wilfried Haslauer, aber auch die Steirer Bernd Schilcher, Andreas Schnider und Beatrix Karl mit ihrem „Gymnasium für alle“. An den faulen Kompromissen jener Zeit leidet das österreichische Schulsystem bis heute.
OECD statt Leistungsorientierung
Seit dem Jahr 2000 bereitete die OECD mittels medial orchestrierter PISA-Testungen den Boden für eine angeblich unumgängliche Radikalreform des heimischen Bildungssystems auf. Die SPÖ-Unterrichtsministerinnen nahmen diesen Ball gerne auf. Es folgte die Abschaffung der Hauptschulen sowie die Einführung der Neuen Mittelschule als Vorläuferin der Gesamtschule beginnend mit dem Schuljahr 2008/09, die Verschlechterung des Dienstrechts für neu eintretende Lehrer im Jahr 2013 und die gleiche Ausbildung für Lehrer an Gymnasien und Neuen Mittelschulen ab dem Studienjahr 2015/16. Die Jahre 2007 bis 2017 waren in der ÖVP von einer Bildungspolitik geprägt, der das Politische aufgrund personeller und inhaltlicher Ausdünnung abhandengekommen war. Bereitwillig wurden unter schwerem medialen Druck Handlungsanweisungen von OECD, Bertelsmann und anderen selbsternannten Bildungsexperten in Ermangelung eigener Konzepte unreflektiert aufgegriffen, nur um beim nächsten PISA-Testdurchlauf besser abzuschneiden. Selbst dann, wenn die Reform den Bruch mit bewährten Bildungstraditionen bedeutete und die erhoffte Verbesserung ausblieb.
Das Scheitern der Neue Mittelschule sei hier nur am Rande erwähnt. Nicht nur, dass die Neue Mittelschule Unsummen an Finanzmittel gekostet hat, vor allem machte sie zu vielen Schülern falsche Hoffnungen, die sich hinterher als Bildungssackgasse herausstellten. Und sie stellte die in ihr tätigen Lehrpersonen trotz höchstem Engagement vor unlösbare Probleme. Erst unter Bildungsminister Heinz Faßmann wurde die Notbremse gezogen, die Neue Mittelschule zur Mittelschule rückgebaut und wieder dem bewährten System der alten Hauptschule angenähert. Noch schwerwiegender wirkt sich allerdings die Reform der Lehrerausbildung aus.
Aufgeblähte Lehrerausbildung
Das Ziel der Reform war die Vereinheitlichung der Lehrerausbildung über alle Schularten. Entstanden ist ein durch die unnötige Konkurrenz zwischen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen zeitlich wie inhaltlich aufgeblähtes Studium, das nicht nur am „Markt“ vorbei produziert, sondern dadurch auch für dramatisch hohe Drop-Out-Quoten sorgt. In Kombination mit der derzeit laufenden Pensionierungswelle im Schulbereich und der Verschlechterung des Dienstrechts, kann dies nur in einem veritablen Lehrermangel in allen Schularten enden.
Hat man sich einmal bis zum Bachelor durchgebissen, wartet ein Sprung in ziemlich kaltes Wasser. Das Unterrichtspraktikum am Ende des Lehramtsstudiums für höhere Schulen mit nur einer Klasse je Fach inklusive zweier fachkundiger Betreuungslehrer gibt es nicht mehr. Während man das Erfolgsprojekt Unterrichtspraktikum in anderen Ländern nachzuahmen versucht, wird es in Österreich ausschließlich aus finanziellen Gründen abgeschafft. Nun nennt sich das erste Schuljahr als Lehrer Induktionsphase, in der man bis zu einer vollen Lehrverpflichtung unterrichtet. Anstatt zweier fachkundiger Betreuungslehrer gibt es nun einen – in den meisten Fällen – fachfremden so genannten Mentor. In vielen Fällen ist es sogar so, dass Junglehrer und Mentor an unterschiedlichen Schulen unterrichten. Zusätzlich ist innerhalb der ersten fünf Schuljahre berufsbegleitend der Master zu absolvieren. Speziell in ländlichen Regionen stellt dies eine große Herausforderung dar, wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Ohne Master droht die Kündigung und es darf in der Oberstufe nicht unterrichtet werden. Wenig überraschend fühlen sich viele Junglehrer unter solchen Bedingungen massiv überlastet und schmeißen schon nach kurzer Zeit den Lehrerberuf hin.
Eklatanter Lehrermangel
Was Lehrervertreter bereits vor der Einführung der neuen Lehrerbildung vorhergesagt haben, verschärft zusätzlich die Corona-Pandemie. Quer durch das gesamte Bundesgebiet wird ein eklatanter Mangel an Lehrpersonen beklagt. Speziell in den Volksschulen (vor allem aufgrund der Verlängerung der Ausbildung zum Volksschullehrer von drei auf fünf Jahre), zunehmend aber auch in den anderen Schularten. In Vorarlberg wurde kürzlich ein „Fernstudium Volksschule“ eingerichtet, das berufsbegleitend möglich sein soll und sich speziell an ältere Studierende, die in den Lehrberuf wechseln wollen, richtet. Es ist dies ein weiterer Beleg dafür, dass es rasch die Reform der Reform der Lehrerausbildung braucht.
Differenzierung auch bei der Lehrerausbildung!
Die Besonderheiten und Notwendigkeiten jeder Schulart müssen wieder verstärkt Eingang in die Lehrerausbildung finden, der Weg der Gleichmacherei ist auch hier gescheitert. Die Arbeit an der Mittelschule verlangt eine andere Ausbildung als jene an höheren Schulen! Konkret: Ein volluniversitäres Studium für Lehrende an höheren Schulen, für die Mittelschule muss es ein Angebot geben, das Studium wohnortnah an einer Pädagogischen Hochschule in drei Jahren zu absolvieren!
Dem ehemaligen Bildungsminister Heinz Faßmann war der Handlungsbedarf mehr als bewusst, er leitete erste Schritte für eine Verbesserung ein. Vom neuen Bildungsminister Martin Polaschek ist bekannt, dass er als Experte maßgeblich an der Entwicklung der neuen Lehrerausbildung mitgewirkt hat. Es bleibt abzuwarten, ob er in Anbetracht der mehr als eindeutigen Rückmeldungen aus der schulischen Praxis über seinen Schatten springen wird und sein eigenes Werk reformiert.
Dieser Artikel erschien in etwas verkürzter Form in der Zeitschrift Academia 4/2022.